Die Zisterzienserabtei Salem in Mittelalter und Neuzeit. Neue Forschungen

Die Zisterzienserabtei Salem in Mittelalter und Neuzeit. Neue Forschungen

Organisatoren
Klaus Gereon Beuckers, Kunsthistorisches Institut, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (SSG)
Förderer
Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (SSG)
Ort
Salem
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
27.06.2022 - 29.06.2022
Von
Luca Evers, Kunsthistorisches Institut, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Die 1134 mit der Stiftung des Ortes Salmansweiler an den Zisterzienserorden gegründete Abtei Salem prägte durch ihre wirtschaftliche Kraft mit zahlreichen Besitzungen sowie durch ihre Verbindungen in den Orden, an die Kurie und zu den Regierenden über Jahrhunderte nachhaltig die Landschaft und den Kulturraum der nördlichen Bodenseeregion. Die wechselvolle Geschichte der Klosteranlage und seiner Gebäude, allen voran der Klosterkirche, die Wirtschaftsgeschichte Salems und der ungemein reiche archivalische Bestand sind seit dem 19. Jahrhundert wiederholt zum Gegenstand der Forschung geworden, jedoch bietet Salem immer noch etliche offene Fragen für die unterschiedlichsten Fachdisziplinen. Hier setzte die interdisziplinäre Tagung der seit 2011 bewährten Kooperation der Veranstalter an. Aus ihrer Zusammenarbeit sind zuvor bereits Tagungen zu Kloster Bebenhausen, zur Residenz Bad Urach, zum Neuen Corps de Logis in Ludwigsburg und zu Kloster Großcomburg hervorgegangen, deren Ergebnisse publiziert vorliegen.

Unter der Moderation von Klaus Gereon Beuckers (Kiel) wurden die 22 nun Salem gewidmeten Fachbeiträge zu einem fokussierten, sachlichen Gespräch in angenehmer Atmosphäre. Auch wenn einige Vorträge wegen Krankheit oder coronabbedingter Quarantäne nicht gehalten werden konnten, wurden die der Tagungsleitung dankenswerterweise zur Verfügung gestellten Beiträge vorgelesen und diskutiert.

Vorträge über herausragende Äbte von der Frühzeit des Klosters bis in die Zeit der Bauernkriege lieferten das Fundament der Tagung; sie begann also mit einer personengeschichtlichen Methodik. Abt Eberhard I. von Rohrdorf (amt. 1191–1240) führte das Kloster zu einer ersten Blüte. Auf seine Vernetzungen im Lokalen, innerhalb des Zisterzienserordens und des Reichsepiskopates wie auch auf die Beziehung zu den Staufern und die daraus resultierenden Vorteile für Salem ging MARIA MAGDALENA RÜCKERT (Ludwigsburg) ein.

Unter Abt Ulrich II. von Seelfingen (amt. 1282–1311) wurde die Klosterkirche ab 1285 neu erbaut; auch sind umfassende Bauaktivitäten unter anderem an der Pfarrkirche, an Klausurgebäuden und der Klostermauer bezeugt. Trotz seiner panegyrischen Grundanlage berichtet der 1338 kurz nach dem Tod des Abtes verfasste „Tractatus super statu monasterii Salem“ glaubwürdig über diese Zeit, wie PETER RÜCKERT (Stuttgart) nachweisen konnte.

Ulrichs direkter Nachfolger Konrad von Enslingen (amt. 1311–1336) wurde in dieser Klosterchronik hingegen sehr negativ gezeichnet, was sich wohl aus der rhetorischen Gegenüberstellung zu Ulrich erklärt. Eine Rehabilitation unternahm CHRISTIAN STADELMAIER (Gießen) und betonte Konrads hohen Bildungsstand und sein Auftreten als Diplomat für den Papst in Avignon, aus dem heraus ihm 1347 das Bischofsamt in Gurk übertragen wurde. Der Rückgang der Prosperität Salems fiel nicht so drastisch aus, wie die für die Beschreibung Konrads tendenziöse Quelle nahelegt, und ist unter anderem durch die schwierige Thronsituation der Zeit, also klosterexterne Faktoren, begründbar.

Als Äbte einer letzten mittelalterlichen Blüte um 1500 wurden Johannes I. Stantenat (amt. 1471–1494), Johannes II. Scharpfer (amt. 1494–1510) und Jodokus II. Necker (amt. 1510–1529) von OLIVER AUGE (Kiel) vorgestellt. Ihr Reformgeist drückte sich in Modernisierungsmaßnahmen an bestehenden Bauten und der Ausstattung, der Produktion einzelner, repräsentativer Handschriften und dem Bau von Klosterhöfen und Kapellen aus. Salem blieb von den gewaltsamen Wirren der Zeit weitgehend verschont und konnte trotz seines Rückzugs aus dem Salzgeschäft dank guter Einbindung ins überregionale Handelsgeflecht und enger Beziehungen zu den Habsburgern florieren.

Wichtigstes bauliches Zeugnis aus dem Mittelalter ist die bis heute erhaltene Klosterkirche, die mit einer sehr ungewöhnlichen Chorlösung – ein eingestelltes Polygon mit dahinterliegender Obergeschosskapelle, die im Rahmen der Barockisierung abgetragen wurden – bis heute viele Fragen aufwirft. Ihre architekturhistorische Bewertung steht bis heute aus. JENS RÜFFER (Bern) stellte eine systematische Planung infrage und verwies unter anderem auf eine unbefriedigende Lichtführung.

Ganz anders wurde die Salemer Architektur aufgrund ihrer experimentierfreudigen, modernen Formen der Maßwerke eingeschätzt. SÖREN GROSS (Neukirchen) präsentierte diese vor allem im Vergleich mit zisterziensischen Schwesterbauten und Konstanz.

Auf dem gesamten Klostergelände lassen sich durch die Jahrhunderte verschiedenste Bauphasen archäologisch greifen, wie ANDREAS WILLMY und MARKUS WOLF (Rottenburg) zeigten. Teilgrabungen, die im Zuge rezenter Bau- und Umbaumaßnahmen erfolgten, förderten Grundmauern, fortschrittliche Leitungssysteme und Brandspuren zu Tage, die im Abgleich mit historischen Klosteransichten teilweise zu einer Korrektur des Planmaterials oder zur Bestätigung bisher allein anhand von Archivalien und oberirdischen Baubefunden aufgestellter Thesen führen.

In diesen Kontext, so BIRGIT RÜCKERT (Salem), gehören auch Fundstücke, die teilweise im Mauerwerk verbaut wurden oder als Streufunde gesichert werden konnten. Die meisten mittelalterlichen Objekte dürften aus den 1697 bei einem Brand untergegangenen Klausurgebäuden stammen. Zu ihnen gehören beispielsweise figürlich gestaltete Konsolen- und Schlusssteine, die gegenwärtig in Salem im Museum, einer Zweigstelle des Badischen Landesmuseums, präsentiert werden.

Bisher nur sehr vereinzelt untersucht wurde die mittelalterliche Ausstattung der Klosterkirche, die im Zuge der Barockisierungswellen entnommen wurde und heute weit verstreut ist. Als ein eigenes Forschungsprojekt hat VIVIEN BIENERT (Kiel) alle bekannten Altarfragmente des 14. bis frühen 16. Jahrhunderts mit Salemer Provenienz zusammengestellt, was im Tagungsband als Katalogteil veröffentlicht werden wird. Auf der Tagung stellte Bienert diesen heterogenen Bestand an Skulpturen und Malereien exemplarisch vor und hinterfragte die in der älteren Forschung postulierte These einer Salemer Schule kritisch.

Das sicherlich prominenteste mittelalterliche Ausstattungsstück der Abtei ist das Marienretabel, das gegenwärtig ebenfalls im Salemer Museum präsentiert wird. Die Malereien von der Hand Bernhard Strigels, des Hofmalers Kaiser Maximilians I., weisen motivisch Verbindungen unter anderem zu Hugo van der Goes auf der Grundlage von Textdetails der „Legenda Aurea“ auf, wie HOLGER JACOB-FRIESEN (Karlsruhe) vorstellte. Inhaltliche Bezüge zu dem vertraglich als Stifter gesicherten Abt Johannes Scharpfer ergeben sich über die ikonographisch auffällige Predella, die die Grabtragung Mariens zeigt, denn Scharpfer wurde in der 1508 geweihten Salemer Marienkapelle vor dem Retabel bestattet.

Aus der gleichen Zeit stammen die nun erstmals einer eingehenden Betrachtung unterzogenen Votivtafeln der Ritter von Bodman, die im Jahr 1522 vermutlich vom Konstanzer Domherr Hans Gabriel von Bodman in Auftrag gegeben wurden. WILDERICH GRAF BODMAN (Bodman) erläuterte, dass seine Familie lange zu den wichtigsten Unterstützern Salems gehörte und offenbar im nördlichen Querarm der Klosterkirche eine Art Familienkapelle hatte, aus der die heute im Bodmanschen Privatbesitz erhaltenen Tafeln stammen.

Die große Salemer Klosterbibliothek gelangte nach der Säkularisation 1826 nach Heidelberg. Aus ihrem Themenkreis stellte CHRISTOPH WINTERER (Mainz) eine Handschrift des „Liber scivias“ der Hildegard von Bingen vor, deren hybrider Charakter eine zeitliche und räumliche Bestimmung ihrer Entstehung erschwert: Weisen die dem Text vorgefügten illuminierten Einzelblätter mit ihren Bildfindungen in Richtung des Klosters Zwiefalten, wo 1162/65 das vergleichbare „Jüngere Zwiefaltener Kapiteloffiziumsbuch“ gefertigt wurde, so sprechen die farbigen Initialen, die dem Channel Style nahestehen, eher für eine Abfassung gegen 1220 in Salem.

Die Salemer Buchproduktion war seit dem 14. Jahrhundert rückläufig und vor allem durch Fremdeinflüsse bestimmt; Mitte des 15. Jahrhunderts läuft eine Buchmalerei in Salem offenbar aus. Selbst für die Textabfassung mussten Schreiblehrer von außerhalb und Wanderschreiber angeworben werden, wie ULI STEIGER (Rastatt) ausführte. Die benötigten liturgischen Handschriften wurden häufig zugekauft, und die klosterinterne Schreibkraft ging nahezu vollständig in dem stark anwachsenden Urkundenbestand auf. Steiger stellte heraus, dass eine Trennung der Arbeit im Skriptorium und im Kanzleibereich und damit eine Professionalisierung der Schreiber ausblieb.

ULRICH KNAPP (Leonberg) stellte auf der Grundlage von Plänen, Archivalien und Baubefunden eine Rekonstruktion der mittelalterlichen liturgischen Disposition der Klosterkirche vor. Dabei betonte er die enorme Dichte an Bestattungsorten in der Kirche sowie die mehrfache Verlagerung des Chorgestühls, die er als zunehmende Aufwertung der Laiensphäre gegenüber dem konventualen Bereich sieht. Die Altarstellen sind im Wesentlichen mit den heutigen Kapellenaltären identisch und sowohl baulich als auch durch die teils erhaltenen Mensen nachweisbar, jedoch hat sich teilweise die Zuwegung geändert. Die liturgischen Wege sowohl der Konversen als auch der Konventsmitglieder aus der ebenerdigen Klausur und dem Dormitorium im Obergeschoss wurden ebenfalls veranschaulicht.

Das heutige Erscheinungsbild der Kirche wird durch die geschlossene, frühklassizistische Ausstattung aus dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts bestimmt, die Johann Georg Dir, Johann Georg Wieland und der d’Ixnard-Schüler Johann Joachim Scholl unter Abt Anselm II. Schwab (amt. 1746–1778) vornahmen. SUSAN BÖRNER (Bochum) stellte sie in den Zusammenhang der zeitgenössischen Theoriebildung in Frankreich, die den Ansprüchen der Zisterzienser nach simplicitas und humilitas genügen konnte. Die theoretischen Vorüberlegungen für eine weitergehende Untersuchung der einzelnen Alabasterwerke liegen hiermit vor.

Diese Ausstattungsphase bildet für alle Maßnahmen der Denkmalpflege im Kirchenraum die Leitschicht, wie MARTINA GOERLICH (Esslingen) ausführte. Sie diskutierte, wie in dieser einheitlichen Konzeption Befundfenster und Freilegungen älterer Epochen integriert werden können.

Nach dem verheerenden Brand 1697 wurden in Salem nahezu alle Abtei- und Klausurgebäude neu gebaut. Die Prälatur nach einem Entwurf von Franz Beer II. von Blaichten (1660–1726) war Gegenstand des Vortrags von ELISABETH KREBS (Tübingen), die diese typologisch innerhalb der oberdeutschen Zisterzienserbauten der Zeit einordnete.

Einen mehrteiligen Block bildete die Abtswohnung mit Gästezimmer, die als klausurfreier Repräsentationsraum das Selbstverständnis des Abtes als Reichsprälat ausdrückte. Den zuletzt aufwendig restaurierten Abtsalon stellte DÖRTHE JAKOBS (Esslingen) vor, während sich KATRIN HUBERT (Konstanz) dem eisernen Prunkofen dort und FELIX MUHLE (Bruchsal) der damals hoch modischen Porzellanmalerei und ihrer Restaurierung widmeten.

Den Abschluss der Tagung bildete ein Vortrag von PATRICIA PESCHEL (Stuttgart) zur Säkularisation des Klosters 1802 und zur Übernahme der Gebäude, Archivbestände und des Salemer Vermächtnisses durch das Haus Baden.

Die Tagung hatte, wie unter anderem die in allen Sektionen wiederkehrenden zentralen Abtgestalten und Themen bewiesen haben, eine durchdachte, funktionierende Struktur und bereichert die Forschung sowohl in ihren Vorträgen als auch in der angeregten, gut informierten Diskussion. Die Multidisziplinarität der Vortragenden, der Blick der verschiedenen Disziplinen mit historischen, kunsthistorischen, denkmalpflegerischen, restauratorischen und bibliothekarischen Herangehensweisen führte zu einem fruchtbaren Gespräch und zeigte den hohen Wert einer solchen forschungsorientierten Tagung. Dabei waren sich alle des Mehrwerts eines unmittelbaren, konstruktiven Forschungsgesprächs nach der pandemiebedingten Zwangspause bewusst. Und so darf man auf die schriftlichen Ausarbeitungen im Tagungsband, der für 2023 in der „Goldenen Reihe“ der SSG angekündigt ist, und auf die Früchte einer weiteren Zusammenarbeit zwischen der SSG und dem Kieler Institut gespannt sein.

Konferenzübersicht:

Michael Hörrmann (Bruchsal), Stefan Feucht (Friedrichshafen/Salem), Bernhard Prinz von Baden (Salem): Grußworte /

Klaus Gereon Beuckers (Kiel): Einführung in die Tagung

Maria Magdalena Rückert (Ludwigsburg): Abt Eberhard I. von Rohrdorf (amt. 1191–1240) und seine Netzwerke im Zisterzienserorden und im Reich

Peter Rückert (Stuttgart): Abt Ulrich II. von Seelfingen (amt. 1282–1311), das Kloster Salem und seine Umwelt um 1300

Christian Stadelmaier (Gießen): Abt Konrad von Enslingen (amt. 1311–1336): Gelehrter, Gesandter und Bischof

Oliver Auge (Kiel): Zwischen Reform und Bauernkrieg: Kloster Salem unter den Äbten Johannes I. Stantenat (amt. 1471–1494), Johannes II. Scharpfer (amt. 1494–1510) und Jodokus II. Necker (amt. 1510–1529)

Jens Rüffer (Bern): Die Architektur der zweiten Klosterkirche in Salem und die Grenzen kunsthistorischer Hermeneutik

Sören Groß (Neukirchen): Nur das Modernste ist gut genug! Das Maßwerk der Salemer Klosterkirche im europäischen Kontext

Andreas Willmy / Markus Wolf (Rottenburg): Archäologie am laufenden Meter. „Lineare Projekte“ als räumliche und zeitliche Querschnitte im Kloster Salem

Birgit Rückert (Salem): Salemer Spolien – eine kleines Fenster in die Klostergeschichte

Vivien Bienert (Kiel): Vergessene Meisterwerke: Fragmente spätmittelalterlicher Altarretabel aus dem Zisterzienserkloster Salem

Holger Jacob-Friesen (Karlsruhe): Der Strigel-Altar aus Kloster Salem

Wilderich Graf Bodman (Bodman): Die Votivtafeln der Ritter von Bodman aus Kloster Salem

Anne Suwa (Kiel): Die Salemer Klosterbibliothek. Geschichte und Forschungsstand

Christoph Winterer (Mainz): Der Liber Scivias aus Salem in Heidelberg

Uli Steiger (Rastatt): Die Salemer Buchproduktion des Spätmittelalters als Spiegel geistlicher Entwicklungen zwischen Pest und Reformation

Ulrich Knapp (Leonberg): Die Klosterkirche als Handlungsort. Zur liturgischen Disposition des Salemer Münsters

Susan Börner (Bochum): Sakralität zwischen Tradition und Innovation. Die frühklassizistische Altarausstattung der Klosterkirche Salem

Martina Goerlich (Esslingen): „Theile, die zu einem großen Ganzen gehören.“ Die frühklassizistische Umgestaltung des Salemer Münsters als Leitschicht für die Denkmalpflege

Elisabeth Krebs (Tübingen): „In Gnaediger Herrschaft Zimer.“ Raumfolge und Bildprogramme der Salemer Prälatur im Kontext ausgewählter oberdeutscher Zisterzienserklöster

Katrin Hubert (Konstanz): Der eiserne Prunkofen im Abtsalon von Kloster Salem. Beobachtungen anlässlich der jüngsten Restaurierung

Felix Muhle (Bruchsal): Empfindlicher Glanz: die Fassungen auf „Porcellain-Arth“ im Wohn-Cabinet Abt Anselms II. (amt. 1746–1778)

Dörthe Jakobs (Esslingen): Zur Restaurierung einiger Prunkräume des Salemer Abtes in der Prälatur. Restaurierung unter hohen Sicherheitsvorkehrungen

Patricia Peschel (Stuttgart): „daß der gnädigsten Herrschaft äußerst daran gelegen sein, daß in Salem ein gutes Gasthaus existiere“ – Kloster Salem nach der Säkularisation

Abschlussdiskussion

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